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Sechs Fragen an Isabelle Cornaro anlässlich ihrer Ausstellung

Fabrice Stroun: In der Kunsthalle Bern wirst Du zwei in Gusstechnik verfertigte Werkkomplexe ausstellen, der eine horizontal, der andere vertikal angelegt. Beide tragen den Übertitel Homonymes. Die meisten Objekte, die Du verwendest, um die Güsse herzustellen, scheinen aus einer abgelebten Vergangenheit zu stammen; es handelt sich um altmodischen Plunder, wie man ihn auf Dachböden oder Flohmärkten findet.

Isabelle Cornaro: Viele dieser Gegenstände finde ich tatsächlich auf Flohmärkten, deren Besuch mir allerdings keine Freude bereitet. Mir missfällt die leicht pornographische, die halb sentimentale, halb lüsterne Beziehung zu Gegenständen, die man an solchen Orten aufbaut. Die Objekte, für die ich mich interessiere, sind dekorativer, dem häuslichen Bereich angestammter Tand (Vasen mit ‚orientalischen’ Motiven, billige Glasware, Weihnachtsschmuck usw.), obsolete Gebrauchsgegenstände (Stempel, Metronome, alte Kameraobjektive usw.), meine eigenen abgenutzten Werkzeuge (kleine lackierte Sockel, Luftpolsterfolie, Gips, Glas, Dias usw.) sowie Dinge, die mit Geld (Münzen, Geldscheine, Pokerchips, Sparschweine usw.) und Prunk (Parfümflakons, Schmuck, Medaillons, Lippenstift usw.) assoziiert werden. Konkrete Abbildungen von Personen sind selten anzutreffen, eher abstrakte, pflanzliche, tierische, anorganische Motive. Alle diese Objekte sind Produkte von semi-industriellen Arbeitsprozessen (kaum welche sind wirklich handgemacht) und artikulieren so die Werthaltungen einer gesellschaftlichen Klasse – zumeist meiner eigenen.

FS: Ist das eine Art, eine autobiographische Dimension in Dein Schaffen zu integrieren?

IC: Nein, das ist nicht in diesem Sinne zu verstehen. Ich bin nun einmal mit diesen Gegenständen aufgewachsen, sie sind mir vertraut. Ich erkenne sie geradezu instinktiv. In der Tat waren die ersten Objekte, die ich für meine Kunstwerke verwendete, Schmuckgegenstände, die meiner Mutter gehörten. Ich erfuhr sie nicht nur haptisch, als Dinge, die ich in meinen Händen halten konnte; ich hatte sie auch auf alten Fotografien gesehen, aus der Zeit als meine Eltern in einer früheren französischen Kolonie lebten. Der Schmuck bestand aus Gold und Juwelen aus diesem Land, aus den Bodenschätzen also, welche die Franzosen überhaupt erst dorthin gebracht hatten. Die Gegenstände, mit denen ich heute arbeite, sind Kopien von Kopien von solchen Schmuckgegenständen: Surrogate.

FS: Die Verwendung dieser ideologisch aufgeladenen und abgenutzt-dekorativen Ästhetik demarkiert ein semantisches Feld Deiner künstlerischen Praxis. Deine Arbeit hält sich relativ unempfindlich gegenüber Zitaten der Avantgardebewegungen oder der globalisierten Popkultur, welche das Schaffen vieler Deiner Zeitgenossen prägt.

IC: Ich finde es schwierig, mit der Popkultur und ihren Versatzstücken zu arbeiten, denn meiner Meinung nach überfliesst sie bereits mit Bedeutung. Insbesondere scheint der Pop eine positive, sentimentale Beziehung zur Kultur zu generieren, die ich als unproduktiv empfinde. Ich beschäftige mich lieber mit Objekten, die mir Unwohlsein verursachen. Diese teilnahmslose oder gar agonale Beziehung zu meinem Quellenmaterial schafft eine Spannung, die ich bevorzuge.

FS: Siehst Du diese Gusswerke als ‚Modelle’ von irgendwelchen Entitäten oder Prozessen? Oder sollte man sie eher als ‚Allegorien’ lesen? Und wenn ja – Allegorien wofür?

IC: Mir gefällt die Trope der Allegorie, denn sie beschreibt eine abstrakte Beziehung zur Welt und basiert oft auf der Verwendung von Figuren, Personifikationen. Das gegossene Objekt referiert letztlich auf zwei distinkte Ähnlichkeiten beziehungsweise Vergleichsgrössen: auf die real existierenden Objekte, die benutzt wurden, um die Güsse herzustellen, und auf die abstrakten Kategorien, welche durch die Güsse repräsentiert werden.

FS: Sprichst Du von den ästhetischen Kategorien der Repräsentation oder von kunsthistorischen Kategorien, die eher mit Fragen der Technik zusammenhängen?

IC: Ich beziehe mich auf empirisch definierte Kategorien, auf das, was ich anhand der Gegenstände, die zu einem gegebenen Zeitpunkt in meinem Studio herumliegen, beobachte. Für die horizontalen Homonymes, beispielsweise, identifizierte ich drei unterschiedliche Objektfamilien: naturalistische Objekte (auch wenn vereinfacht) ‚in der Form’ bestimmter Gegenstände oder Lebewesen, beispielsweise einer Ente oder einer Blume, Objekte mit dekorativen Motiven, die auf Momenten der Wiederholung und der Stilisierung aufbauen, sowie Objekte mit geometrischen Formen (auch wenn sie nicht ganz ‚rein’ sind), die an Abstraktion als Idee gemahnen. Anders ausgedrückt: Meine drei Kategorien waren Naturalismus, Stilisierung und Abstraktion. Ein vierter Guss wurde dann aus den ‚Resten’ hergestellt.

FS: Nach welchen formalen oder prozeduralen Kriterien bringst Du Objekte zusammen, die Du als Ensemble definierst?

IC: Das kommt ganz auf den Zyklus an, an dem ich jeweils arbeite. Was beispielsweise die Homonymesbetrifft, die sind gar nicht so komponiert, sondern eher aufgestapelt. Der Verzicht auf Komposition erlaubt es mir, meine Subjektivität oder wenigstens meine ‚Sensibilität’ weitgehend auszuschalten. So stehen kategorische Überlegungen anstelle von formalen oder stilistischen Gesichtspunkten im Vordergrund. Bei diesem Werk habe ich mir die ‚Stapel’ als ‚Haufen’ vorgestellt und folgte dabei einer eher funktionalen als einer ästhetischen Logik. Damit meine ich, dass beispielsweise die Abstände ausreichend gross sein mussten, damit die Techniker überhaupt die Güsse erstellen konnten; die Höhe der Gegenstände musste ebenfalls variiert werden, um möglichst viele Details sichtbar zu machen – und so weiter. Besonders wichtig war und ist für mich, dass die Güsse in einem einzigen Durchgang hergestellt werden. Der Prozess der Verfestigung, dieser Wechsel des Aggregatszustand, ist einmalig, unwiederholbar; die verwendeten Gegenstände werden zu einer einheitlichen Masse, zu ‚gezeichneten’ Formen, die aus einer formlosen Materie herauswachsen. Einen wichtigen Bezugspunkt bilden dabei die manieristischen Grotten des 16. Jahrhunderts, in denen Blumen- und Tierformen zu einer Masse gebildet sind, welche teils formlos bleibt oder vielmehr ihre ursprünglichen natürlichen Formen beibehält. Es gibt auch Grotten, in denen jede Steinfläche bearbeitet wurde, selbst diejenigen Teile, die eigentlich formlos beziehungsweise ‚natürlich’ bleiben sollten. Das Material und die Art und Weise, wie es verarbeitet wird, projiziert das Bild einer Verdinglichung, das heisst, des Todes – des Übergangs eines lebenden, animierten Körpers zum Objekt sprich zu einer Leiche.

Isabelle Cornaro wurde 1974 in Frankreich geboren. Sie lebt und arbeitet in Paris. Umfangreiche Übersichtsschauen ihrer Arbeit wurden vom Kunstverein Düsseldorf (2009) und von Le Magasin (2012) in Grenoble organisiert. Die Kunsthalle Bern zeigt ihre erste monografische Ausstellung in der Schweiz. Darunter sind ältere Arbeiten wie All we ever see of stars (2006), sowie zwei gänzlich neue Produktionen,Celebration und God Box No. 1-3, die für diese Ausstellung entstanden sind.

Diese Ausstellung wurde ermöglicht durch die Unterstützung von Institut Français, The Rothschild Foundation, Kultur Stadt Bern und Burgergemeinde Bern. Partner: Le Magasin, Grenoble. Kraft E.L.S. AG