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Für die Ausstellung Pre-emptive erweitern Christoph Büchel und Giovanni Carmine ihr Projekt PSYOP-Capture their Minds and their Hearts and Souls will Follow. “Psyop” bedeutet “psychological operations”. In enger Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Bern führen die beiden Künstler eine Aktion durch, welche sich zum gegebene Zeitpunkt offenlegen wird.
Ausstellung: 19. August bis 8. Oktober 2006
Eröffnung Freitag, 18. August, 18.00 Uhr
Die Idee der präventiven Aktion entspringt einem übermächtigen Angstgefühl. Als “präventiv” wird eine Handlung bezeichnet, die einer Gefahr vorbeugen, sie vermeiden, soll. Der “Präventivschlag”, wie er von den republikanischen Regierungen in den USA wiederbelebt worden ist, zeugt von ihrer Angst vor dem Unvorhergesehenen, vor dem Anderen, ja sogar vor der Freiheit. Es handelt sich dabei um einen kalkulierten, typisch post-kolonialen Umgang mit der Realität. Solche Taktiken, d.h. der Kampf gegen das “Multiforme, Bewegliche und Allgegenwärtige”, wurden bereits unter Reagan eingesetzt. Sie gehören auch zur Selbstbehauptung dessen, was z.B. als “Prophetische Gemeinschaft” bezeichnet wird, also einer vorwiegend auf irrationalen Überzeugungen sowie auf moralischen und religiösen Werten beruhenden Gemeinschaft.
Heutzutage finden wir nicht einmal in der Kunst – dieser schönsten und unmittelbarsten Form aller Hypothesen – irgendwelchen Trost oder Sicherheit, denn sie kann jederzeit zur (metaphorischen) Zielscheibe werden. Und so kommt es denn, dass sich die Kunst in einem Zustand der kurz bevorstehenden Repression, ja sogar Unterdrückung, d.h. im Ausnahmezustand befindet – sie wird in ihrem eigenen Raum belagert, mit Ausgangssperre belegt, verboten. Dies ist ja nicht viel anders als das, was wir empfinden, wenn wir die entscheidende Entscheidung machen müssen, ob wir entweder “zu den Guten gehören oder zu den Terroristen.” Doch kann niemand eine solche Entscheidung fällen, weil es ja eigentlich gar keine Wahl gibt, weil wir ja immer zwischen diesen Positionen stehen. Die Kunst befasst sich ganz eigentlich mit dem Unbekannten, und das ist wesentlich in einer Gesellschaft, die sich gerne als “zivilisiert” bezeichnet. Wird die Kunst wohl auch zum Abdanken gezwungen und dazu, sich für eine solche Nicht-Wahl zu entscheiden, bloss um ihr Überleben in einer Welt zu sichern, in der wir ganz bewusst unsere Freiheit und unsere Grundrechte veräussert haben? In der zeitgenössischen Kunstkritik lässt sich häufig eine “akademische” Kontrolle von Innen, eine Selbstzensur, beobachten. Zwar fördern dokumentarische und archivarische Strategien die kritische Evaluation, sie verhindern aber auch jede Mehrdeutigkeit und “Perversion”. Kunstwerke, die das Offensichtliche vermeiden und sich der einfachen Interpretation verweigern, sind dem Kunstdiskurs suspekt, der das Politische bevorzugt. Der Abgrund zwischen Theorie und Visualisation – der urkünstlerischen Praxis – ist unermesslich; zwischen ihnen gibt es überhaupt keinen Dialog. Allzu häufig haben wir es mit blossen (künstlerischen) “Zeugnissen” zu tun, und nicht mit Kunst, die uns zum Zwiegespräch veranlasst. Die Angst vor Fehlern bedroht die eigentliche Kritik und provoziert die Rückeroberung der Ästhetik rebellischer sozialer Bewegungen.
Im Gegensatz dazu schlägt unsere Ausstellung eine ganze Reihe von Ansätzen vor: Einmal handelt es sich um wissenschaftliche Experimente mit apokalyptischen, makrohistorischen Grübeleien, dann um Unterhaltung in Form von Umkehrung und Spiel mit Überwachungsgeräten, sodann um eine figürliche Malerei, die offenkundlich und überzeugt ihre Loyalität zum auch bedrohlichen Alltäglichen ausdrückt. Anderseits haben wir es mit abstrakter Malerei zu tun, die sich jeder Verheissung verweigert, sowie mit destabilisierenden geografischen Darstellungen und mit auffälligen Beispielen der Transformation von Alltagsobjekten und –verhalten in eine neue, elegant-faszinierende Erfahrung.
Unsere Ausstellung will eine Situation beschwören, die der Verwirklichung und Möglichkeit jeglicher Kontrolle vorgreift, sie also “vermeidet”. Sie bietet einen Ort voller Möglichkeiten, womit sie zur Reflexion über das Nicht-Stattfinden von Geschichte, zum Nachdenken über die Spezifizität und Unausweichlichkeit eines Ereignisses wird. Sie befasst sich mit Dingen, die sich der technokratischen Beherrschung entziehen, mit Fluchtlinien und der heiklen Balance zwischen Freiheit und ständiger Kontrolle.
Philippe Pirotte, Mai 2006
© Übersetzung aus dem Englischen:
Margret Powell-Joss
www.powelltrans.ch