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Carla Arochas künstlerischer Eingriff kann definiert werden als kritische Reflexion rund um die Unterscheidung von Sehen und Schauen, postuliert als visueller Diskurs über die modernen Konstruktionen des Blicks. Auf dieser Grundlage schlägt die Ausstellung eine doppelte Reise ins Visuelle vor: Einerseits die Erfahrung der unterschiedlichen „Blickräume“, welche das Werk generiert, und andererseits die verschiedenen Momente ihrer visuellen Entwicklung.
In der Arbeit von Carla Arocha kann der Raum des Betrachters auf mehrere Arten verstanden werden. Die Beziehungen zwischen Reflexion, Transparenz und Undurchsichtigkeit bilden hierbei drei der Möglichkeiten einen Blick zu konstruieren, welche Carla Arocha in vielfältigen Annäherungen erprobt. Von Abweisung zu Gier, von Neugier zu Gleichgültigkeit oder von Intoleranz zu Korrektheit bildet ihre Arbeit eine präzise Studie über die Macht des Blicks.
Die Künstlerin veneozoelanischen Ursprungs (*Caracas, 1961), ausgebildet zuerst als Biologin und dann als Künstlerin in Chicago, wurde sichtlich beeinflusst durch die abstrakt-konstruktivistische Tradition – welche sowohl in Chicago als auch in Venezuela seit der Nachkriegszeit vorherrscht. Obwohl sich die Einflüsse von modernistischen Bewegungen wie dem Russischen Konstruktivismus oder dem Bauhaus in Venezuela und Chicago sehr unterschiedlich ausgeprägt haben, bildet Arochas Werk eine Fallstudie als kritische Beurteilung zu beiden Kontexten. Ihr Werk re-artikuliert diese Traditionen so weit, wie es selber Teil einer fortwährenden künstlerischen Berichtigung der Art und Weise ist, wie Modernität und Modernismus in die heutige Zeit integriert wurden. Ihr Interesse gilt nicht ausschliesslich der Kunst sondern der visuellen Kultur als Ganzem.
Seit ihren Anfängen spielt die Künstlerin in einer sehr direkten und kritischen Weise auf die Möglichkeiten von Kontinuität und Gültigkeit der modernistischen Erfahrung an, im Speziellen bezogen auf die Tradition der Abstraktion. Anstatt den Weg der Abstraktion so zu beschreiten, wie die Kunstgeschichte ihn sanktioniert hat, zeichnet Arochas Arbeit die Formen auf, wie diese Tradition in den breitesten Kulturkontext integriert wurde. Durchsetzt mit charakteristischen Elementen aus Mustern, Stoffen, Mode und der modernen Umgangssprache bewegt sich ihre Arbeit auf die Erkenntnisse von optischen Illusionen und biologischen Reaktionen zu, um dann jedoch zurück zu kehren und die Kunstsphäre, insbesondere den historischen Raum des Malerei, in welchen sie hinein versetzt wurde, zu untergraben.
Die offensichtliche formale Harmlosigkeit der Arbeit führt uns in die Irre und informiert uns unaufgefordert über uns selbst. Der Begriff der visuellen Desorientierung kann als Schlüsselelement in Carla Arochas Werk betrachtet werden. Die Künstlerin ahmt beispielsweise die Auswirkungen des grell blendenden Lichts oder der Erblindung nach, welche als körperliche und geistige Wahrnehmung eine wechselseitige Verdunkelung bewirken. In einer anderen Werkgruppe re-installiert sie die Trübung der Orientierung im Kopf des Betrachters, die durch chemische Wirkstoffe ausgelöst werden, welche Übelkeit, Verwirrtheit und andauernde Nachtsicht hervorrufen. In einem seltenen figurativen Unterfangen wie dem Portrait eines Kindes, Vanessa (2003), verneinen sich die Farben gegenseitig; die Darstellung bricht auf in den Bereich des Optischen und verweigert die Rhetorik der erkennbaren Bildlichkeit. Diese Verweigerung ist jedoch nicht gänzlich erfolgreich: Hin und her schwankend erscheinen die Zeichen im Grenzbereich der Unlesbarkeit. Wie in einem Versteckspiel erträgt das verborgene Kind das „Nicht-gesehen-werden“ nur für kürzeste Zeit.
Die überlagerten Verschiebungen zwischen dem Visuellen, dem Optischen und dem Psychologischen übermitteln die Werke in einer Vielzahl von Medien, sind jedoch verhaftet im Kontext des Gemäldes. Entsprechend ist das Ziel der Reflexion für Carla Arocha unweigerlich malerisch, auch wenn sie ihre Eingriffe für gewöhnlich in vielfältiger Form präsentiert. Ihre Arbeit erreicht im Gemälde ihre erkennbarste Form, erscheint jedoch auch verstreut im Raum, materialisiert in der Form von Zeichnungen, Installationen und ortspezifischen Anregungen mit sorgsam geplanter Anordnung.
Diese Ausstellung, kuratiert von Jesus Fuenmayor und Philippe Pirotte, ist die erste institutionelle Einzelausstellung der Venezoelanischen Künstlerin Carla Arocha in Europa und wird anschliessend in mehrheitlich retrospektiver Gestalt nach Lateinamerika weiterreisen. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl von Werken, die seit 2000 entstanden sind und ebenso Werke, die spezifisch für die Kunsthalle Bern konzipiert wurden.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Texten von Gerrit Vermeiren und Philippe Pirotte
Text: Philippe Pirotte
Pressekonferenz:
Donnerstag, 06. April, 10.30 Uhr
Gespräch mit Carla Arocha, Philippe Pirotte und Jesus Fuenmayor:
Donnerstag, 06. April, 14.00 Uhr