Die Kunsthalle Bern präsentiert eine neue Einzelausstellung der in Berlin lebenden Künstlerin Sung Tieu (*1987, Hai Duong, Vietnam). Mit ihren Arbeiten in den Bereichen Skulptur, Installation, Zeichnung, Text, Video und Klang untersucht Tieu die Machtstrukturen, die in bürokratischen, archivarischen und institutionellen Rahmenbedingungen verankert sind. In Ausstellungsräumen nimmt Tieus künstlerische Praxis oft die Form minimalistischer Interventionen an, die durch ihre präzise Ästhetik die räumlichen, psychologischen und wahrnehmungsbezogenen Erwartungen des Betrachters destabilisieren.
Für ihre Ausstellung in der Kunsthalle Bern entwickelt Tieu eine neue Werkreihe, welche die historischen Verflechtungen der Schweiz mit kolonialen Wirtschaftssystemen nachzeichnet und sich dabei auf den Anbau von Naturkautschuk in Französisch-Indochina konzentriert. Das Projekt setzt sich mit dem Erbe des in der Schweiz geborenen Arztes und Bakteriologen Alexandre Émile Jean Yersin auseinander, dessen Präsenz in Südostasien ab 1890 beispielhaft zeigt, wie wissenschaftliches Wissen und koloniale Ausbeutung sich gegenseitig bedingten.
Tieu übersetzt diese historischen Verflechtungen in eine Reihe von räumlichen und skulpturalen Entwürfen, die die Ausbeutung, Messung und Regulierung des menschlichen Körpers reflektieren. Die Arbeiten thematisieren, wie der Körper – als Ort der Produktion und Disziplinierung konfiguriert – Systemen der Optimierung, Kontrolle und Instrumentalisierung unterworfen war und weiterhin unterworfen ist.
Mit formaler Zurückhaltung verwebt Tieu fragmentarische historische Spuren und legt die fortbestehenden Infrastrukturen kolonialer Vermächtnisse frei. Dabei zeigt sie, wie die Vergangenheit allzu oft unterdrückt und vergessen wird, selbst wenn sie unsere Gegenwart weiterhin prägt. Es ist eine Konfrontation, die Raum für Neuverhandlungen schafft.