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NTU, Nolan Oswald Dennis, Tabita Rezaire, Bogosi Sekhukhuni
22. Juli – 1. Oktober 2023
Eröffnung: 21. Juli, 18 – 21 Uhr
Umhlaba uyalingana
Kollektives Denken – eine Sythese 1
Kollektive 2 und Kollektivierung beschwören Assoziationen herauf – Teilen, Fürsorge, Horizontalität, Commons, Gemeinschaft, Solidarität, emotionale Arbeit und noch mehr Fürsorge. In der westlichen Welt ist die Kollektivierung eine Taktik, um sich gegen den Klimawandel, den Kapitalismus und den Sexismus zu wehren. Sie ist Teil der langen Geschichte kollektiver Aktionen in queeren, antirassistischen und feministischen Bewegungen, Gewerkschaften, Protestaktionen und sogar bei der Absetzung des Faschismus oder der aristokratischen Herrschaft.
Für die Mehrheitsgesellschaft sind Kollektive und das Zusammenschliessen von Menschen untereinander und über das Menschliche hinaus eine Praxis, die über die Anti-Apartheid- und Anti-Kolonial-Bewegungen sowie über alle Formen des Befreiungskampfes gegen herrschende Strukturen hinausgeht. Unsere Erfahrungen mit Kollektiven sind sozial, wirtschaftlich und zeitübergreifend. Sie sind Teil des komplexen Geflechts des Seins in der Welt, das unentwirrbar und womöglich unverdaulich ist, das weder binär noch transparent ist. 3 Das Kollektiv schliesst auch die Untoten ein (diejenigen, die durch das Wissen unserer Praktiken in uns leben) und verbindet das Jetzt 4 mit vielen Vergangenheiten und Zukünften. Im Kollektiv zu sein, bedeutet emotionale Arbeit für diejenigen, die nah und fern sind, sowohl räumlich als auch zeitlich. Die Arbeit, die wir aufwenden, um an einer Sozialität teilzunehmen, die nicht unmittelbar entlohnt wird und/oder unberechenbar ist, dehnt den kapitalistischen Begriff der Arbeit über die Vorstellungen des Managerialismus und des Developmentalismus hinaus aus. Kollektive Arbeit liegt jenseits deines Zeithorizonts.
Im Kollektiv zu sein, steht nicht im Gegensatz zum Individuum oder seinem Fortschritt – meiner Meinung nach bedeutet, im Kollektiv zu sein, gegen den Determinismus anzugehen, gegen die lineare, zielgerichtete Entwicklung, von der die
Investitionslogik Dividende oder Liquidation verlangt. Kollektiv zu sein, ist eine langsame, mühsame, sich wiederholende Arbeit, die enorm Zeit einfordert, um unterschiedliche Tempi, Standpunkte und Neigungen zu vereinbaren.
Der Aufbau von Institutionen ist kollektive Arbeit. Alle Arbeit ist kollektiv. Das Leben ist kollektiv. Nicht nur in der Verstrickung und Vernetzung des Lebens, wo sich Materialien, Arbeit, Bewegungen, Energien und Zeit in schwindelerregender Weise überkreuzen, um diesen einen Moment zu erzeugen, in dem Sie diesen Text in diesem sehr spezifischen Kontext dieser Ausstellung lesen. Jede Begegnung wird kollektiv produziert.
2015 gründeten Nolan Oswald Dennis, Tabita Rezaire und Bogosi Sekhukhuni in Johannesburg NTU als „eine Agentur, die sich mit der spirituellen Zukunft der Technologie beschäftigt“. 5 In dieser Ausstellung sind gemeinsame Arbeiten von NTU und Einzelpräsentationen der Künstler:innen zu sehen.
Die NTU-Installation Nervous Conditioner „wurde speziell als ein sicherer Ort für People of Color konzipiert, wo sie diskutieren, sich austauschen und organisieren können, frei von der Unterdrückung durch die weisse, patriarchalische und
heteronormative Gesellschaft“. 6 Die Beziehungen zwischen Dennis, Rezaire und Sekhukhuni sind das, was NTU jetzt ausmacht, eine Freundschaft, die über die Produktion von Kunstwerken hinaus Bestand hat. Es ist eine emotionale Arbeit, die aus dem Blickfeld gerät und in ihrem Leben und ihrer Praxis undefiniert bleibt. Dennis’ Expeditionen in die Arktis und Antarktis bringen scheinbar Selbstverständliches durcheinander und ordnen es neu, indem es anderen Denksystemen verknüpfen wird – mit den Erdwissenschaften, der schwarzen Befreiungstheorie und der Poetik afrikanischer dekolonialer Systeme. Rezaires Heilungspraxis bedient sich digitaler, körperlicher und angestammter Erinnerungen – sie verweben zeitgenössisches und altes Wissen und arbeiten mit dem Jetzt unserer Zeit, dem Jetzt der Zukunft und dem Jetzt der Vorfahren. Sekhukhuni widmet sich der Sonne, ausgehend von den Forschungen des Wissenschaftlers Alexander L. Chizhevsky über die Beziehung zwischen dem Sonnenzyklus und dem menschlichen Verhalten bis hin zum biomechanischen Design auf einem Planeten, der sich zunehmend erwärmt.
Diese Ausstellung versucht das, was wir als solo und kollektive Praxis betrachten, in Frage zu stellen oder zu erweitern, beides zusammenzubringen und die Überschneidungen der Einflussbereiche zu sehen, aus denen sowohl das Kollektiv als auch die Individuen, die es bilden, Gestalt annehmen. Handelt es sich nicht um eine Ansammlung, eine Verdichtung, eine Kondensation von Einflüssen im Laufe der Zeit, die von einer Person in einem bestimmten Moment hervorgebracht wird? Die Provokation besteht nicht darin, zu behaupten, dass es keine Individualität gibt, sondern vielmehr darin, dass die Individualität selbst eine Ansammlung oder Konvergenz von Momenten (Interaktionen, Einflüssen) ist, die in der Zeit entstanden sind.
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1 Das Album Agharta von Miles Davis von 1975 dient Nolan Oswald Dennis in dieser Ausstellung als Sauce/Source/
Referenz/Einfluss.
2 Ich verwende den Begriff hier der Einfachheit halber und schliesse alle Arten von Arbeiten ein, die von mehr als einer Person ausgeführt werden.
3 Kollektive Arbeit wird oft mit Frauen assoziiert, aber das ist eine cis-heteropatriarchale Sichtweise, die Männlichkeit als logisch, vernünftig und unter Ausschluss von Emotionen definiert. Zu gegebener Zeit werde ich einen Text zur Frage der Aufteilung der Arbeit in Geschlechterrollen schreiben und eine andere Sichtweise von Gemeinschaften aufzeigen, die die Arbeit anders konzipieren. Der Begriff der Transparenz und der binären Logik des westlichen Systems ist beeinflusst von Édouard Glissant, 1997. Poetik der Beziehung. University of Michigan Press.
4 Ich verwende die folgende Formulierung des «Jetzt» von Michelle Wright in ihrem Buch Physics of Blackness (2015). Sie schreibt:
“Die «epiphänomenale» Zeit bezeichnet den gegenwärtigen Moment, einen Moment, der nicht direkt aus einem anderen hervorgeht (d.h. kausal erzeugt wird)… Die epiphänomenale Zeit schliesst nicht jede Kausalität aus: nur eine direkte oder lineare Kausalität. Mit anderen Worten: Der gegenwärtige Moment oder das «Jetzt» kann durchaus mit anderen Momenten korrelieren, aber man kann nicht behaupten, dass er immer schon die Wirkung eines bestimmten, früheren Moments ist. Zusammengenommen unterstreichen sie die Tiefe und Weite, mit der diese Vorstellungen von Raumzeit westliche Ausdrucksformen kollektiver Identität durchdringen, insbesondere das Schwarzsein.”
5 Im Zusammenhang mit dieser Ausstellung zeigen NTU, Nolan Oswald Dennis, Tabita Rezaire und Bogosi Sekhukhuni
ihre Werke auch in der Ausstellung des Van Abbemuseums zur kollektiven Praxis mit dem Titel _Positions #7: Everything
worthwhile is done with other people_ (13. Mai 2023 – 24. September 2023), kuratiert von Yolande Zola Zoli van der Heide
und Nick Aikens.
6 Aus dem NTU-Portfolio
Mit grosszügiger Unterstützung von:
Veranstaltungen
- Freitag, 21. Juli 2023, 18–21 Uhr
Eröffnung: NTU, Nolan Oswald Dennis, Tabita Rezaire, Bogosi Sekhukhuni - Sonntag, 23. Juli 2023, 14 Uhr
Rundgang durch die Ausstellung NTU, Nolan Oswald Dennis, Tabita Rezaire, Bogosi Sekhukhuni - Freitag, 11. August 2023, 18 Uhr
Gespräch mit Giulia Bini, Kunsthistorikerin und Kuratorin - Mittwoch, 13. September 2023, 12.30 Uhr
Mitglieder der Kunsthalle Bern kochen für Sie! Ausstellungsbesuch mit Mittagessen! - Sonntag, 17. September 2023, 14 Uhr
Short Cut | 30-minütiger Rundgang durch die Ausstellung - Mittwoch, 20. September 2023, 18 Uhr
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