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Der Titel, den Jill Mulleady (*1980 in Montevideo, lebt in Los Angeles), Künstlerin mit argentinisch-schweizerischen Wurzeln, für ihre Ausstellung gewählt hat, greift sogleich die Atmosphäre auf, die ihren Kompositionen zu Grunde liegt. Das deutsche Wort „Angst“ wurde im 19. Jahrhundert in die englische Sprache eingemeindet, man spricht auch von „German Angst“. Damit verbunden ist bei Jill Mulleady der Film „Angst vor der Angst“ (1975) von Rainer Werner Fassbinder. Im Film erleidet die Figur Margot diffuse Angstattacken und wird von ihrer Umgebung als geisteskrank verurteilt. Fassbinder ging es jedoch darum, einen „normalen“ menschlichen Zustand zu zeigen, das sich im eigenen Leben fremd fühlen. Die im Film dominante Stimmung der Beklommenheit kommt auch in Jill Mulleadys Bildern zum Ausdruck. Sie entsteht durch den kühlen Charakter ihrer Malereien. Wir blicken auf stille Akte, ganz so als hätte man den Ton in einem Film ausgeschaltet. Ihre Figuren lässt sie in Bewegungen einfrosten, ähnlich einem „Tableau vivant“, das wieder in Malerei rückübertragen wird. Die starren Physiognomien und auch andere Formen in Mulleadys Bildern wirken wie nach einem Schema gemalt, selbst wenn Individualität erkennbar wird. Und obwohl ihre Figuren interagieren, machen sie einen isolierten Eindruck. Um die in den Bildern angedeuteten Erzählungen geht es dabei kaum, obgleich den Betrachtenden natürlich dennoch etwas erzählt wird. In den hochgradig künstlichen Stimmungsräumen wird vielmehr anhand malerischer Mittel eine Annäherung an Ängste und Sehnsüchte versucht. Die Szenen bilden dabei den äusseren Rahmen, innerhalb derer sich die Leidenschaften ausdehnen. Oft sind es nächtliche oder häusliche Welten, in denen sich Sehnsüchte entlang der Gesetze von Alltag und Nacht entladen.
Welche sind diese Sehnsüchte und Ängste? Es sind Ansprüche an das Leben, die sich oft so schwer fassen lassen, sie liegen vielmehr in der Luft und legen sich als schwerer Film über die eigene Haut. Bei Fassbinder flüchtet sich Margot vor ihren unscharfen Ängsten in Valium, Alkohol, eine Affäre, ins Musikhören; und noch während sie flüchtet, gibt sie sich den Dingen fallend hin. Dabei ensteht ein spezifisches Zeitgefühl, eine Nachkriegs-Deutschlandkulisse: die Hausfrau im Korsett einer familiär-patriarchalen Umgebung, auf einem stereotypen Grat von Anpassung und Hysterie. Heute wirkt dies wie ein etwas zu offensichtliches Klischee, ist aber dennoch kein Mythos. In Mulleadys Kompositionen befinden wir uns in einer schwer zu fassenden Zeitlichkeit, die Idee von Dekadenz in einer „Demimonde“ scheint in manchen Bildern auf, dann wieder Allegorien einer häuslichen Fatigue, alles inmitten einer artifiziellen Atmosphäre von Realismus, Traum und Imagination.

In ihrem Malstil greift Mulleady immer wieder auf künstlerische Ausdrucksweisen vergangener Epochen zurück. Es lassen sich Anleihen an Edouard Manet (1832-83) oder an den starren Ausdruck der Figuren und Skulpturen eines Pierre Klossowski (1905-2001) ausmachen. Im Vordergrund steht die Suche nach einem bestimmten Ton, vergleichbar der Suche beim Schreiben eines Textes, dessen Stil sich auch erst durch das Lesen von Texten anderer ausbilden kann. Wie bei Klossowski sind auch Mulleadys Bilder in gewisser Weise altmodisch, scheinbar unbeeindruckt von der Gegenwartskunst; man sieht den Werken nicht sogleich an, wann sie gemalt wurden, sie erscheinen unzeitgemäss und bewegen sich gegenläufig zur aktuellen Forderung von Reaktion auf Dringlichkeiten. Es handelt sich nicht um eine Kunst der Reflexe und doch deuten sich unaufdringlich Beziehungen zum Jetzt an, wenn etwa auf gegenwärtige gesellschaftliche Stimmungen Bezug genommen wird.

Jill Mulleadys Ausstellung setzt das Programm der Kunsthalle Bern fort, das sich mit den gegenwärtigen Möglichkeiten und Erscheinungsformen der zeitgenössischen Malerei und deren mannigfaltigen Fluchtlinien in die Zukunft beschäftigt.

Arbeiten von Jill Mulleady (*1980 in Montevideo, lebt und arbeitet in Los Angeles) wurden u.a. präsentiert in Einzel- und Gruppenausstellungen bei Freedman Fitzpatrick, Los Angeles (2017), Simon Lee Gallery, New York (2017), Gaudel de Stampa, Paris (2016), Herald Street, London (2016), Dépendance, Paramount Ranch, Los Angeles (2016), Supportico Lopez, Berlin (2016), Forde, Genf (2016), Museo Archeologico Nazionale di Napoli, Neapel (2015), Island, Brüssel (2014), SlyZmud Gallery, Buenos Aires (2013), Museo Sivori, Buenos Aires (2011).

Die Kunsthalle Bern dankt der freundlichen Unterstützung der Kultur Stadt Bern sowie der Eidgenossenschaft.
Die Ausstellung wird durch den No Leftovers-Fonds unterstützt.

Bild: Jill Mulleady, No Hope No Fear, Öl auf Leinwand, 52 × 57 cm, 2017