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Ericka Beckman
Works 1978–2012
7. Juni – 4. August 2013
Eröffnung: Donnerstag, 6. Juni 2013 ab 18 Uhr
Ericka Beckman im Gespräch mit Lionel Bovier und Fabrice Stroun
Lionel Bovier & Fabrice Stroun: Deine Filme und Fotografien vermitteln eine von Technologie erzeugte Künstlichkeit, obwohl Deine Bilder offensichtlich handgefertigt sind. Selbst heute, wenn Du Computeranimationen verwenden könntest, bleibst Du bei Kartonmodellen und Zeitrafferanimationen.
Ericka Beckman: Das Gefühl der Künstlichkeit kommt daher, dass alles in meinen Filmen ein Modell oder eine Replika von etwas anderem ist. Die Objekte, die ich animiere, sind Symbole. Mich interessiert wie geistige Bilder erzeugt werden und wie man diese wortlos kommunizieren kann. Mein Werk ist stets aktionsbasiert, egal ob es sich um Zeitrafferanimationen, Performance, Stummfilm-Schauspiel oder Sport handelt. Der physische Prozess ein Film oder Objekt herzustellen, bringt eine gewisse Art der Konzentration mit sich, die mir fehlt wenn ich mit einem Interface arbeite.
Seit 2000 ist meine Arbeit das Ergebnis einer direkten Interaktion zwischen der Kamera und dem Raum, in dem ich über lange, konzentrierte Zeiträume hinweg filme. Mithilfe meines Kameraobjektivs dekonstruiere ich die Architektur, wodurch Animationssequenzen entstehen, die den Linien der Gebäudearchitektur folgen. Dabei ist es das Ziel, die Architektur in Schwingung zu bringen, so als wäre ihr ein Wille zu eigen. Wenn ich Modelle animiere, verwende ich technisch raffiniertere Robotertechnologie, das ist aber zweitrangig im Vergleich zu den Aufnahmen, die durch choreographierte Kameraführung entsteht. Das Medium Film kann alle Elemente eines physischen Handlungsraums so imitieren, dass er dem Betrachter real erscheint. Gleichzeitig kann Film ungewohnte Wahrnehmungserfahrungen ermöglichen.
Lionel Bovier & Fabrice Stroun: Deine Super-8 Trilogie (We Imitate; We Break Up, 1978, The Broken Rule, 1979, Out of Hand, 1980) bezieht sich direkt auf Jean Piagets Theorien der kognitiven Lernprozesse. Wie kam es dazu, dass Dich solche Fragen anfingen zu interessieren und wie begannen diese Fragen, Dein Frühwerk als Ganzes zu strukturieren?
Ericka Beckman: Als junge Künstlerin suchte ich nach einer Sprache, um die Beziehung zwischen Selbsterkenntnis und der Bewegung in einer physischen Welt zu beschreiben. Ich erkannte, dass Bewegung eine Sprache ist, die wir viel früher als unsere gesprochene Sprache erlernen. Als ich kurze experimentelle Arbeiten produzierte, realisierte ich, dass Ton und Bild austauschbar sind sofern der Betrachter den zeitlichen und räumlichen Koordinaten einer Szene folgen kann. Die physische Realität ist ein System, das tiefer in unserem Bewusstsein verankert ist als Sprache, Bilder oder sogar Musik. Ich gab meine gesamte philosophische Lektüre auf und vergrub mich in Piaget. Das war der Moment, als ich die Super-8-Trilogie begann. Der erste Film, We Imitate; We Break Up, handelt von der Imitation und der Bildung einer stabilen Identität. Der Film ist eine Darstellung physischer Aktionen zwischen Figuren, oder Figuren und Hindernissen, der unkoordiniert beginnt, schrittweise ein Gleichgewicht erreicht, nur um dann wieder in seinen unkoordinierten Zustand zurückzukehren. Ich versuche durch filmische Prozesse zu illustrieren wie eine Aktion zur Erinnerung wird und dadurch zur Grundlage einer stabilien Identität.
Im zweiten Film, The Broken Rule, versuche ich aufzuzeigen, wie Regeln gebildet werden. Einerseits lebt man nach Regeln oder Wahrheiten, die in einem sozialen Konsens durch einen Prozess der Erprobung und Akzeptanz geformt werden. Andererseits gibt es Regeln, die vom Individuum erschaffen werden, die ein Gefühl von Bedeutung und Selbstwert erzeugen. Beiden Arten von Regeln sind reale Konsequenzen inhärent. The Broken Rule war teilweise auch eine Hymne auf den Künstler Mike Kelley, den ich gerade in Kalifornien kennengelernt hatte und dessen Arbeit und Energie eine Hingabe zu selbst auferlegten Regeln verkörperte. Ich kreierte die letzte Performance für ihn.
Im dritten Film, Out of Hand, wird dargestellt wie ein Symbol erzeugt wird. Der Junge, der in dem Film vorkommt, ist der exemplarische Peter Pan, der nicht in der Adoleszenz ankommen kann und sich zurückhält, um ein nostalgisches Objekt aus seiner Kindheit aufzuspüren. Um ins Erwachsenendasein übertreten zu können, muss er seine Bindung zu diesem Objekt lösen und das Symbol akzeptieren, das seine Kindheit in der Erinnerung repräsentiert.
Zu der Zeit, als ich die Super-8-Trilogie drehte, las ich Piagets Bücher sehr bruchstückhaft, beinahe mit einer dichterischen Freiheit, um seine Experimente und auch die Reaktionen seiner Kinder auf diese Experimente geniessen zu können. Ich versuchte aber auch, seine Definition der aufeinanderfolgenden Ebenen von Intelligenz, die zum Spracherwerb führen, aufzunehmen. Die Lektüre von Piagets wissenschaftlichem Prozess gab mir das Vertrauen, meine eigenen logischen Systeme zu entwickeln.
Ericka Beckman wurde 1951 in Hampstead, USA, geboren. Sie lebt und arbeitet in New York. Ihre Arbeiten wurden in internationalen Museen, Filmfestivals und Galerien gezeigt. Grössere Einzelausstellungen wurden ihrem Werk im Museum of Modern Art, New York, dem Smithsonian’s Hirshhorn Museum, Washington D.C., und The Walker Art Center, Minneapolis gewidmet. Sie hat an drei Biennalen des Whitney Museum of American Art teilgenommen. Ihre Arbeiten sind Teil öffentlicher Sammlungen wie den in New York angesiedelten Anthology Film Archives, Museum of Modern Art and Metropolitan Museum of Art, aber auch The British Film Institute, London, und The Walker Art Center Media Collection, Minneapolis. Erwähnenswerte bisherige und bevorstehende Werkpräsentationen unter anderem bei 1m3, Lausanne, Le Centre Pompidou, Paris, Tate Gallery of Modern Art, London, und das Withney Museum of American Art, New York.
Ericka Beckman, Works 1978 – 2012 ist eine erste umfangreiche Retrospektive der Künstlerin. Die Ausstellung wird begleitet von der Veröffentlichung von The Super-8 Trilogy, einer 83-minütigen DVD (Multizone, PAL/SECAM; JRP|Ringier, Zürich and Kunsthalle Bern), zusätzlich einer Broschüre, mit einer Einführung von Douglas Eklund, Kurator am Metropolitan Museum of Art in New York, als auch einem Interview zwischen der Künstlerin, Lionel Bovier und Fabrice Stroun. Im Frühling 2014 wird die Kunsthalle Bern eine Monografie von Ericka Beckman veröffentlichen, unter anderem mit einem Essay des Spieltheoretikers Eric Zimmerman.
Kunsthalle Bern und Ericka Beckman danken Jeanne Graff, Isabelle Cornaro, Clément Dirié, Mark Rosen, Bill Brand, Andrew Lampert, Chris Hughes von Color Lab und Esteban Mauchi von Lamount Photo in New York.
Die Kunsthalle Bern bedankt sich ausserdem bei ihren Partnern Kultur Stadt Bern und Burgergemeinde Bern, sowie Kraft E.L.S.