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Dog-boy, Atlas, Mandrake, the geeks, the hired hands / There was not one among them that did not cast an eye behind / In the hope that the carny would return to his own kind.

Aus Nick Cave, The Carny, Your Funeral… My Trial, 1986.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schwappte die amerikanische Popkultur in Wellen über den alten Kontinent. Verändert wurde die Art, wie wir uns kleiden, wie wir gehen, reden und tanzen. Die meisten dieser Wellen waren so hoch wie allgemein gültig: Sie bereiteten den Nährboden für eine paneuropäische Jugendkultur, von Elvis bis Kurt, die erst in den letzten Jahren wieder langsam verebbt. Andere Wellen waren eigenartiger, offenbarten ein ganz eigenes Wesen; spezialisiert und höchst raffiniert ermöglichten sie hybride Kunstwerke, die von persönlichen Geschichten und regionalen Unterschieden durchdrungen waren. Die Poster-Kunst von Dirk Bonsma ist ein solches Hapax – d.h. ein Wort, das nur ein einziges Mal in einem Werk oder einer ganzen Sprache vorkommt. Oder, wie in diesem Fall, ein gezeichnetes ikonographisches und stilistisches Repertoire, das sich von den kulturellen und geographischen Horizonten abhebt, die seine Entstehung erst ermöglicht haben.

Diese Geschichte, die um 1980 in Bern beginnt, ist eng an das amerikanische Revival von Garage Musik und Psychedelic Rock gebunden – mit Bands wie The Miracle Workers, Thee Fourgiven oder Pussy Galore – und an die Veranstaltungsorte und Szenen in der Schweiz, die sich diese Sounds aneignete. Zu der Zeit war Dirk Bonsma aktives Mitglied von Project Blue, einer Gruppe von Konzert- veranstaltern, die viele dieser Bands einem Schweizer Publikum erstmals vorstellte. Bonsma gestaltete die Flugblätter/Flyers und Poster. Gleichzeitig entstand eine einheimische Musikszene mit Bands wie Bishop’s Daughter oder den Lombego Surfers, mit denen Dirk Bonsma bis heute zusammenarbeitet. Aus dem Erleben von Live-Musik entstand ein transatlantischer Dialog, zuerst in provisorischen Räumen wie Das Boot in Bern oder dem Sedel in Luzern, später in einem Netzwerk von alternativen Kulturzentren, die in der zweiten Hälfte der 80er endlich ihre Türen öffneten und einen frischen Wind aufkommen liessen, der seither fast gänzlich abgeflaut ist.

Gleichzeitig mit der Musik kam eine andere Welle aus den USA angerollt: die Underground-Comics, die Dirk Bonsma über das deutsche Magazin U-Comix entdeckte. Wir sollten uns vor Augen halten, wie zutiefst fremd diese gezeichnete narrative Kultur für das deutschsprachige Europa war, das kaum über eine eigene Comic-Tradition verfügte. Die Inhalte der U-Comix stammten mehrheitlich von amerikanischen, holländischen und französischen Zeichnern; aus Ländern also, wo sich zwischen der Musik- und der Comic-Szene schon längst starke Verbindungen etabliert hatten. In Kalifornien etwa wurden wichtige Vertreter der Gegenkultur der 60er Jahre, zum Beispiel Victor Moscoso oder Rick Griffin, zu bedeutenden Designern von Rockpostern, während ein Jahrzehnt später der französische Comiczeichner Serge Clerc handgezeichnete Illustrationen für das Musikmagazin NME ausführte. Dieser Austausch war in Bern nicht die Regel, und Dirk Bonsmas relative Isolation mag teilweise die exzentrischen Eigenheiten erklären, die seine comic-inspirierten Zeichnungen so unverkennbar machen.

Ein weiterer Unterschied liegt in der inneren Stimmigkeit von Dirk Bonsmas Praxis, die sowohl der Musik wie der Zeichnung verpflichtet ist. Von Garage bis Psychedelic Rock, von Garage bis Punk – immer geht es darum, Stellung zu beziehen. Eiferte der europäische Punk musikalisch den amerikanischen Bands nach, entwickelte er visuell eine wahrhaft unabhängige und reichhaltige Kultur, die jedoch das Détournement von existierenden Bildern der handgestrickten Erfindung fiktionaler Welten vorzog. Dirk Bonsmas Schaffen schlug sich mit der Zeit auf die Seite einer immer radikaleren Psychedelia; so gestaltet er heute Poster für experimentelle Bands wie die Acid Mothers Temple aus Japan oder die Young Gods aus Freiburg.

Dirk Bonsmas Stil und ikonographisches Repertoire teilen offensichtliche Gemeinsamkeiten mit der jüngeren Generation von alternativen amerikanischen Comiczeichnern wie Charles Burns oder Dan Clowes, die wie Bonsma mit der Arbeit von historischen Protagonisten der Gegenkultur wie Robert Crumb oder Kim Deitch aufgewachsen sind. Aber wie bei einem lange verloren geglaubten europäischen Vetter wird die gemeinsame Erbschaft von einer völlig anderen alltäglichen Realität durchdrungen: «Die alten Meister», sagt Dirk knapp. Nachvollziehbar. Aber da ist noch ein Umstand, dem ich kaum Beachtung schenkte, bevor ich vor einem Jahr nach Bern gezogen bin: eine besonders dunkle und witzige, karnevaleske Stimmung – vom Ungeheuer mit seinem seltsamen Spitzhut, das gegenüber vom Zytgloggeturm Kinder frisst, bis zu den Dämonen, die an den Türen des Berner Münsters Sünder in die Flammen der Hölle ziehen. Eine parallele, phantasmagorische Geschichte der Mauern der Stadt, zu der Dirk Bonsmas Poster seit über drei Jahrzehnten freudig beitragen.

Glossar

Acid Mothers Temple
Ein ziemlich abgefahrenes Psychedelic-Kollektiv aus Japan um den Gitarristen Kawabata Makoto. Wechselnde Line-Ups und ungewöhnliche Kollaborationen gehören ebenso zum Konzept von Acid Mothers Temple, wie das Experimentieren mit den Einflüssen, die vom Progressive Rock bis zu Karlheinz Stockhausen reichen. www.acidmothers.com

Bishop’s Daughter
Berns Untergrund war in den späten Achtzigern dank Konzerten von Project Blue und der Rock’n’Roll- Familie Black Pampers weltweit vernetzt. Mit Bishop’s Daughter (den Namen lieh man sich aus dem Stones-Song «Jigsaw Puzzle») hatte die Berner Garagenszene auch ihre eigene Band, die mit ein paar Covers als Vorband des erleuchteten Sky Saxon debütierte. Bald setzten Bishop’s Daughter, zu deren Gründungsformation die Bassistin Kat Aellen, Gitarrist Didier Ludwig und Drummer Nic Bischof gehörten und bei denen später auch Sänger/Gitarrist Bubi Rufener, der Ex-Miracle-Worker Robert Butler und Drummer Pit Lee spielten, konsequent auf eigenes Material. Die erste Single der Band, «My Mother Is On LSD» wurde (wie später das einzige Album der Band) von Young-Gods-Sänger Franz Treichler produziert. Für ihre Konzerte betrieb die Band einen grossen Aufwand und kombinierte ihren Tribal-Rock mit Performance und bildender Kunst. Im Zuge des Grunge-Booms interessierten sich Major-Plattenfirmen für die Band, doch die blieb konsequent independent. 1994 lösten sich Bishop’s Daughter auf. Alle Mitglieder blieben musikalisch aktiv.

Fourgiven, Thee
Ein legendäres, aber kurzlebiges Garagentrio aus L.A., das aus der Asche der ähnlich ausgerichteten (und ebenso famosen) The Unclaimed auferstand. Die messerscharfe Fuzzgitarre von Rich Coffee rieb sich am stampfenden Sound der Rhythmusgruppe. Für Garagen-Aficionados gelten die 1989 aufgelösten Thee Fourgiven immer noch als «the real deal».

Lombego Surfers, The
Eine der glaubwürdigsten Rock’n’Roll-Combos der Schweiz – und wohl diejenige Band, mit der Dirk Bonsma am längsten und beständigsten zusammen- arbeitet. Gegründet Mitte der Achtzigerjahre als Nachfolgeband von The Code spielten die Lombego Surfers wilden Voodoo-Surf-Punk, der stark von Ga- ragen-Archetypen wie Link Wray beeinflusst war. Ihr Bandleader ist der Amerikaner Tony Thomas, der in den späten Sixties in der Region Boston bei Bands wie The Back Room und Electrified Water Gitarre gespielt hatte. Ein weiteres prominentes Gründungsmitglied war Peter Rietmann (gestorben 2009), der in den Sixties unter anderen bei der legendären Basler Beat Band The Dynamites den Bass spielte. Die Line-Ups der Lombego Surfers ändern sich immer mal wieder, doch dem Rock’n’Roll in seiner kompromisslosen Spielart sind die Basler bis heute treu geblieben. Oder, wie die Band selber schreibt: «Die Rock’n’Roll-Strasse geht geradeaus, die wenigen Bars und Clubs an der Strasse kennt man auswendig, das Bier ist immer kaltgestellt und der letzte räumt die Knochen von der Strasse.» www.lombegosurfers.com

Miracle Workers, The
Die Miracle Workers waren eine der beliebtesten US-Garagenpunk-Bands auf dem europäischen Kontinent, auch in der Schweiz machten sie mehrmals Halt. Der Stil der Band, die wie Dead Moon aus Portland, Oregon stammte, wurde nach dem Umzug nach L.A. im Jahr 1986 härter und punkiger. Die Band surfte ganz oben auf der Garagen-Revival-Welle, doch ab Anfang der Neunzigerjahre gerieten sich die Musiker zunehmend in die langen Haare. 1992 lösten sich The Miracle Workers auf. Ihr Bassist Robert Butler blieb in Bern hängen, wo er bald in der lokalen Musikszene ein Comeback gab.

Pussy Galore
Pussy Galore waren eine Garage-Rock-Band aus Washington D.C. Wie die konsumierten Drogen wechselten auch die Line-Ups häufig. Ursprünglich hatte man sich am Sound von Velvet Underground und den New York Dolls orientiert, doch Pussy Galore schreckten auch nicht davor zurück, «Yü-Gung», den Industrial-Klassiker der Einstürzenden Neubauten, einer Garagenrock-Wurzelbehandlung zu unterziehen. Nihilistisches Gitarrengeschrammel und eine provozierende Punk-Attitüde waren das Markenzeichen von Pussy Galore, die von 1985 bis 1990 existierten. Gitarrist Jon Spencer gründete nach der Auflösung die Band Boss Hog und bald darauf die famose Jon Spencer Blues Explosion.

Young Gods, The
Sie werden von vielen Kritikern als die beste Schweizer Rock Band bezeichnet – die eigenständigste und erneuerungsfreudigste sind sie mit Sicherheit. 1985 als Post-Industrial-Band in Freiburg gegründet, reduzierten The Young Gods ihre Instrumentierung von Anfang an aufs Maximum und bauten auf wuchtige Rhythmen, innovativ eingesetzte Elektronik und das Charisma ihres Sängers Franz Treichler. Für den ganz grossen internationalen Durchbruch reichte es zwar nie, doch die Band spielte auch in Übersee und wurde von Bands wie Nine Inch Nails oder Faith No More als wichtige Inspirationsquelle bezeichnet. Die Young Gods sind weiterhin aktiv und erfinden sich immer wieder neu: Sie interpretieren etwa Chansons von Kurt Weill, vertonen den originalen «Woodstock»-Film oder spielen ihre eigenen Songs, manchmal auch als Unplugged-Programm. www.younggods.com

Sedel
Während sich die Jugend in vielen Schweizer Städten ihre Freiräume mit Demonstrationen erkämpfen musste, ging es in der Innerschweiz weniger dramatisch zu. Die Behörden waren bestrebt, in der sauberen Touristenstadt Luzern Jugendunruhen gar nicht erst aufkommen zu lassen. So stellten sie 1981 den Jugendlichen ein ausgemustertes Gefängnis als Kultur- und Atelierzentrum und Lokal für Übungsräume zur Verfügung. Der Sedel wurde zur wichtigen «Homebase» für die Luzerner Musikszene – und ist es auch heute noch. www.sedel.ch

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