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Tcca New Theater 2012–2013APN Research あぷん autoslides#1–3 shindisi home videos the deleted scene a fanzine as a museum / a museum as a fanzine cut-out bin / apnegative sci-fi sounds from the alienated kitchenOOO &&&LLLhcr 1
25. August – 10. Oktober 2012
Eine Ausstellung organisiert von Emanuel Rossetti und Tobias Madison mit Calla Henkel, Max Pitegoff, Jean-Michel Wicker, Jan Vorisek, Stefan Tcherepnin, Sergei Tcherepnin, Gela Patashuri, Ken Okiishi, Mathis Altmann, Mélanie Mermod präsentiert APN
Eröffnung: Freitag, 24. August 2012 ab 18 Uhr
Max Pitegoff/ Calla Henkel
NEW THEATER, 2012-2013
Kunst als Nebenprodukt gewisser Formen von Beziehungen, gewisser Formen von Gemeinschaften.
Times ist ein Künstlerprojekt, das 2011 durch Calla Henkel, Lindsay Lawson und Max Pitegoff in Berlin gegründet wurde. Eine Bar, ein nächtlicher Ausstellungs- und Performanceraum, so funktioniert Times als Club für eine vorwiegend junge, vorwiegend zugewanderte Kunstszene. In Bern haben Calla Henkel und Max Pitegoff die Möblierung ihrer Bar für einen neuen Theaterraum überarbeitet, der 2013 eröffnen soll. Dazu wird eine Gruppe von Fotografien ausgestellt, welche den sinnbildlichen Beleg für Veranstaltungen und Diskussionen anbietet, die offenbar stattgefunden haben in Berlin. Die fluoreszierenden Lampen, ein Zeichen für den baldigen Beginn der Aufführung, kommen – selbstverständlich – aus New York. Bald ein Jahr alt, wird Times seine Tore schliessen, während die Ausstellung in Bern noch fortdauert.
Gela Patashuri & Sergei Tcherepnin
TCCA, 2012
Vor drei Jahren fanden Gela Patashuri und Sergei Tcherepnin auf dem Eliava-Flohmarkt in Tbilisi, Georgien, einen Luftdruckregler. Dieser Fund markiert den Beginn der TCCA Orgel, einem skulpturalen, musikalischen und sozial-kollaborativen Projekt. Im Sommer 2012 errichteten die Künstler ihr Instrument in der Nähe der Stadt Shindisi, auf einem Landstrich, den der Schweizer Kurator Daniel Baumann erworben hat – der Ort, wo das Tbilisi Center For Contemporary Art gebaut werden soll. Die architektonische Skizze lieferte wiederum Patashuri. Die Orgel wurde mit einer Performance von Sergei Tcherepnin und Gela Patashuri eingeweiht, involviert waren Tobias Madison, Emanuel Rossetti, Mélanie Mermod sowie eine Gruppe georgischer Künstler, die von Patashuri als die „Neue Generation“ bezeichnet werden. Die Leitstimme, welche in der Orgel erzeugt wurde, bildete einer Komposition von Patashuri und Tcherepnin. Die übrigen Teilnehmer ergänzten ringsumher die Klänge mit eigenen Beiträgen. Als weiterer Schritt wird diese Performance in der Kunsthalle Bern über Audio-Transmitter ausgestrahlt, welche an Karton angeschlossen und durch Metallrohre aus Georgien verstärkt werden. Gela Patashuri hängte zusätzliche Glocken aus Metallstücken auf, die er auf einem Metallschrottplatz in Bern fand. Diese Verbindung der Glockenklänge mit den Aufnahmen der TCCA Orgel vervollständigt das Werk.
Jean-Michel Wicker
hc r 1, 2012
Context Content Data Form. Die Poster von Jean-Michel Wicker nehmen zu ihrem Ausgangspunkt die erste Nummer von Homocore, einem Anarcho-Schwulenmagazin aus San Francisco von 1988. Das visuelle Material wird organisiert, reorganisiert und disorganisiert, neu ausgerichtet und entstellt, bekritzelt und zusammengesetzt mit Bildern und Texten, die dem gegenwärtigen Berliner Umfeld des Künstlers entstammen. In Europa sagt man dem Jahr 1988 einen zweiten Sommer der Liebe nach, es sind die Anfänge der Ravekultur. Doch weit eher, als dass sie solche subkulturellen Referenzen zu einer kohärenten Geschichte verweben, erzeugen Jean-Michel Wickers formale und strukturelle Spiele, welche diese Bilder verändern und öffnen, einen Riss durch jene kommunitären Narrative, als deren Nachfolger wir sie vermutet hatten.
APN Research あぷん, 2012
„APN“ ist der Titel einer Zusammenstellung von 55 Bildern, welche zwischen 1953 und 1954 wöchentlich in Asahi Gurafu, dem einflussreichsten japanischen Fotomagazin jener Zeit, erschienen. Während das gesamte Magazin dokumentarische Bilder und sorgfältige Reportagen in kreativem Layout präsentierten, ähnlich wie das Life Magazin, verwendeten APN Bilder experimentelle Techniken und Darstellungen, mit der einzigen Auflage, dass die Buchstaben A, P, N enthalten sein müssen. Diese APN Bilder wurden als Titel einer spezifischen Doppelseite des Magazins namens „Asahi Picture News“ verwendet. Teilnehmer des APN Projekts waren junge aufstrebende Künstler, welche in medienübergreifenden Kollektiven wie Jikken Kōbō (Shōzō Kitadai, Katsuhiro Yamaguchi, Tetsūro Komai) oder Graphic Shūdan (Hamao Hamada) arbeiteten. Doch gleichzeitig nahmen bei APN auch herausragende Figuren der Japanischen Vorkriegs-Avantgarde teil wie etwa Sōfū Teshigehara, Sabūro Hasegawa and Yoshishige Saitō. Das APN-Projekt erscheint heute nicht nur als eine seltene Konkretisierung der Pläne der Vorkriegs-Avantgarde, Kunst mit den Massenmedien zu verbinden, es macht auch eine verwirrende Reihe von Verquickungen sichtbar, vom Russischen Konstruktivismus (Saito), Surrealismus (Ohtsuji und Takiguchi), Bauhaus (Yamaguchi), bis hin zu experimentellen Kollektiven aus dem Tokyo der 1950er Jahre und der „medienübergreifenden“ japanischen Fluxusszene, um nur einige wenige zu nennen.
Basierend auf einer intensiven Zusammenarbeit mit einem grossen Teil der Japanischen Forscher auf diesem Gebiet, bringt _APN Research あぷん _erstmals alle APN Bilder zusammen. Die Publikation zur Ausstellung wird als ein Werkzeug für zukünftige Forschung verstanden und soll die wesentliche Bedeutung Japans hervorheben, sowohl was die Experimentierbereitschaft betrifft als auch die Qualität der Forschung, welche oft weitgehend übersehen wird.
APN Research あぷん wird von der in Paris lebenden freien Kuratorin Mélanie Mermod kuratiert, in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit dem freischaffenden Japanischen Archivar Kin’ichi Obinata.
Stefan Tcherepnin
OOO &&& LLL, 2012
Es wird gesagt, dass gewisse Universitäten, Bibliotheken und Museen überdauerten, doch bis zum heutigen Tag haben wir kaum Kontakt zu ihnen.
Früher in diesem Jahr reinterpretierten Stefan Tcherepnin und Marianne Schroeder das Stück Petra für zwei Klaviere, komponiert von Maryanne Amacher und uraufgeführt 1991 in Boswil in der Schweiz. Das Klavierstück selbst war beeinflusst von einer gleichnamigen Science-Fiction Kurzgeschichte des Autors Greg Bear, welche eine post-apokalyptische Welt beschreibt, in der Nonnen es mit Gargoylen treiben und humanoide Steinkreaturen gebären. Als Mitglied der New Yorker Performancegruppe Grand Openings, der Arakawa, Jutta Koether, Emily Sundblad und Jay Sanders angehören, hat sich Stefan Tcherepnin die kollaborative Praxis von Grund auf angeeignet und nutzt die Biomasse des kulturellen Ökosystems, das ihn beherbergt. Seine Arbeit für die Kunsthalle Bern nimmt die Geschichte von Greg Bear zum Ausgangspunkt und verarbeitet die Relikte einer Zusammenarbeit mit den Schweizer Künstlern Kaspar Müller, Tobias Madison, Emil Michael Klein und Emanuel Rossetti; Zeltfetzen und -stücke, welche er in Zement tränkte, bevor er sie über eine Leine hängte. In Greg Bears Geschichte bewegen sich die Steinskulpturen durch Wände, verstecken sich und klettern in eine Kathedrale. Die hängenden „Häute“ Tcherepnins zeichnen die Konturen einer durchdringbaren Installation, einem physischen und narrativen Grenzbereich, der auf die Nähe zwischen einer Idee und ihrer Materialisierung verweist.
Jan Vorisek, Ken Okiishi
sci-fi sounds from the alienated kitchen, 2012
Scifi sounds of the alienated kitchenAFX & SFX (wt)
Trains on a Snake (Nov. 2011) war eine Performance im Ap News, einem von Künstlern geführten Kino, welches jeden Montag Filme zeigt. An der gleichen Strasse befindet sich das Multiplex Kino „Abaton“, das sich auf Hollywood-Blockbuster spezialisiert hat.
In der Nacht der Performance war die Leinwand bei Ap News verdeckt. Ein weisses Seil trennte die Besucher von der Performance. Während 40 Minuten erzeugte Jan Vorisek Klänge, die an Action- und Science-Fiction-Filme erinnerten, nicht unähnlich jenen, die im „Abaton“ zu hören sind.
Scifi sounds of the alienated kitchen / AFX & SFX (wt) dekodiert den Mechanismus von High-Concept Filmen, emotionale Reaktionen auszulösen, indem die Arbeit 1) den Ton vom Bild trennt und 2) diesen Ton mittels unüblicher Materialien wie Küchengeräten oder anderen Haushaltsgegenständen reproduziert.
1st page & 2nd page (new theater), 2012
Times wurde auf Liebe gebaut. Eine zutiefst sentimentale und kitschige Form der Liebe.
2007 steht für den ersten bundesstaatlichen Überschuss in der Geschichte Berlins. Ich öffne ein Pilsner Urquell und reiche es über die Bar. Seit 2009 sind die Mieten jährlich um 7.9% gestiegen. „Alle ziehen nach Wedding.“
„Ich will nicht im beschissenen Wedding leben.“ Nachts sitzen wir rum und reden darüber, wie wir vor drei Jahren hätten Wohnungen kaufen sollen.
Ein junger Praktikant von Johann Koenig kauert in der Ecke der Bar und raucht eine Zigarette. Er fügt hinzu: „Das ist wie New York in den 70ern.“ „Hör’ bloss auf,“ antwortet jemand. Der Praktikant sieht verlegen aus.
Berlins Schulden belaufen sich auf etwas über 60 Billionen Dollar, doch der Überschuss der vergangenen zwei Jahre wird anfangen diese abzuzahlen. Etwa 12’733 Amerikaner leben mit Visa in Berlin. Mindestens ein Duzend davon sitzen in der Bar. Ich fülle Whiskygläser und rufe: „Wenigstens ist es beinahe Sommer.“
Berlin ist eine der am wenigsten von der Kreditkrise betroffenen europäischen Städte, grösstenteils wegen des stetig anwachsenden Tourismus und mit über 20 Millionen Ausländern, welche die Stadt jährlich überschwemmen — „das MDMA ist echt gut“ — die drittmeistbesuchte Stadt in Europa.
„LA?“ Ich presse Limettensaft in einen Moscow Mule und reiche ihn über die Bar. “LA ist verrückt, du brauchst ein Auto und das ist scheissteuer.” Der neue Brandenburg International Airport soll im Juni 2012 eröffnen und Berlins Status als „Tor nach Asien“ und neuer Knotenpunkt europäischen Reisens sichern. „Brüssel wäre vielleicht besser.“
„Ich will keine Bilder in meinem Schlafzimmer malen.“
Ateliers sind schwieriger zu finden, doch die Preise für Hauseigentum sind immer noch 4-6 mal niedriger als in London oder Paris. „Paris nervt.“ Ich stimme zu und öffne ein Erdinger Kristall. Man erwartet, dass die Preise im Berliner Immobilenmarkt sich in zehn Jahren verdoppeln, aufgrund der Befreiung von der Steuerpflicht auf Kapitalgewinn aus Wohneigentum, welche nach zehn Jahren abläuft.
„Alle verlassen Bushwick.“ Vielleicht ist es ein Witz, dass der Koenig-Praktikant einen Manhattan bestellt. „Alles wohnt in Chinatown.“ Die Arbeitslosenquote in Berlin erlangte 2011 ein Rekordtief. Die meisten neuen Jobs entstanden im Servicesektor, und die meisten davon mit unregelmässiger Bezahlung. Ich schaufle Eis in Gläser.
Die Miete für die Bar beträgt Euro 523 pro Monat. Unsere Gewinnmarge liegt unter dem Durchschnitt einer Bar von ähnlicher Grösse. Ein Pilsner Urquell kostet Euro 2.50, wir verkaufen etwa 35 Harrassen pro Monat. Es gibt 746 Hotels in Berlin mit 112’400 Betten.
„Was ist mit Detroit?“ Ich lache, während ich den Tresen mit einem feuchten Tuch abwische. „Was ist mit Philadelphia?” Alle lachen. Meine Mietkosten betragen Euro 250 pro Monat, und der Gewinn aus der Bar deckt etwas mehr als die Hälfte davon. Ein Webentwickler in Deutschland erhält im Durchschnitt Euro 26.50 pro Stunde, eine Kellnerin Euro 5.50. Ich schneide Orangenscheiben aus lauter Liebe.
Die Zahlen der europäischen Haushalte werden regelmässig auf der Titelseite abgedruckt. Die Eurozone ist eine persönliche Krise, welche in Interviews stattfindet, durchgeführt von Times Reportern in Küchen über Oliven und Daten hinweg. „Was ist mit Athen?“ Ich räume eine Kiste Bier in den Kühlschrank. Als Künstler haben wir unsere Verantwortung. Patti Smith ist gerade ins Soho House eingezogen.
An die Fliessen lehnend setzt jemand sein Bier ab und fragt: „ist die Miete günstig?“ „Das Akropolis-Museum kostet nur 3 Euro für Studenten.“ Deutschland ist eines der wenigen Länder in der Europäischen Union ohne Mindestlohn.
Als Künstler giesse ich Aperol in ein Spritz-Glas und lasse es blutrot werden. Unser Schuldenbuch ist voll mit Namen. Wir nutzen Schulden nicht als Waffe. „Modular ist verdammt noch mal zu teuer.“ „Dann geh bei Bauhaus einkaufen.“
Max Pitegoff/ Calla Henkel