Kunst im Allgemeinen, wird oft gesagt, ist ein Verb. Sie verändert die Welt und unsere Wahrnehmung, nicht indem sie Werke hervorbringt, sondern indem sie in der Welt am Werk ist: Wo immer und wie immer sie dazu in der Lage ist, Möglichkeiten zu verfolgen und zu aktivieren, die dicht unter dem Leben liegen, und zu entdecken, nicht was passieren kann, sondern was passieren muss. Was passiert, wenn es einem Künstler gelingt, dafür zu sorgen, dass nichts passiert?
Pavel Büchler
Pavel Büchler ist ein in Tschechien geborener Künstler, Dozent und Schriftsteller, der seit 1981 in Großbritannien lebt, wo er an der Manchester Metropolitan University die Position eines Research Professor innehat. Seine Vorgehensweise fasst er zusammen als “dafür zu sorgen, dass nichts passiert”, und legt sich so auf die katalytische Natur der Kunst fest – auf ihr Potenzial, Aufmerksamkeit auf das Offensichtliche hin zu dirigieren, das sodann als befremdend enthüllt wird. Seine subtilen Interventionen und trocken ironischen Texte beschäftigen sich mit der Entlarvung des Akzeptierten und des Alltäglichen als letztendlich bizarren Phänomenen. Ein wesentlicher modus operandi in Pavel Büchlers Arbeitsweise ist eine Neuerfindung des Geschichten Erzählens, das schon allzu lange von der modernen und zeitgenössischen Kunst abgetrennt ist und allzu oft durch das reine Bezeugen ersetzt worden ist. Büchler arbeitet mit alten Technologien, Tonaufnahmen, Licht sowie der physischen wie psychischen Präsenz von Texten in seinen Installationen, die sich um das Auftauchen von Erfahrung und Bedeutung in der Kunst drehen.
Büchlers Arbeit entwickelt sich aus zwei grundlegenden Ideen: der Zeit und der Manipulation von Fundstücken. In seiner Beschäftigung mit den Verzerrungen der Sprache widmet er den Lücken in der Kommunikation kritische Aufmerksamkeit, da er fasziniert ist von den Grenzen der kommunikativen Eigenschaften der visuellen Sprache. Er widmet sich immer wieder der Frage nach der Legitimität von Kommunikation jenseits ihres so flüchtigen wie andauernden Wesens. Diary 2001 (2003) ist eine einzige Tagebuchseite, auf der der Künstler Eintragungen über ein ganzes Jahr hinweg gemacht hat mit dem Ergebnis, dass die Oberfläche “texturiert” und beschädigt und gefüllt ist mit unverständlichen Informationen.
In Live (2003), aus 351 ‘live’ Aufnahmen komponierte Geräusche aus der Plattensammlung des Künstlers, die eine Vielfalt musikalischer Stile umspannt von improvisiertem Jazz bis hin zu Rock, Pop, Folk und klassischer Musik, hat der Künstler die Publikumsgeräusche aus Aufnahmen der letzten vierzig Jahre aus vielen Teilen der Welt versammelt. Auf diese Wiese wurde die Vorstellung einer lebendigen Gegenwart ‘ex nihilo’ in einer leeren Halle kreiert. Der Künstler interessiert sich für solche gespenstischen Spuren auf Tonaufnahmen und Fotografien. Durch die Manipulation von Fundstücken wie in Life and Opinions (2004) – in der Kunsthalle während der Ausstellung Off-Key im Jahr 2005 zu sehen –, in dem eine in Abständen aufleuchtende Glühbirne auf eine Seite aus Laurence Sternes Tristram Shandy projiziert, lenkt Pavel Büchler den Blick darauf, wie die Konvergenz zwischen der Gegenwart des Vergangenen (in der Fotografie) und der Simultaneität (in den ausgestrahlten Medien) unsere Welt zu einem fremdartigen Ort machen.
Mit dem Schwerpunkt auf den alten Verbindungen der Kunst zu Sprache und Literatur wird Pavel Büchlers Ausstellung in der Kunsthalle Bern sich im Wesentlichen auf eine Werkgruppe konzentrieren, die er im Laufe der Jahre mit Marconi Sound Projektoren aus den 1920er Jahren sowie einer Software, die geschriebene Texte in gesprochene Sprache umsetzt, konzipiert hat. In diesem speziellen Stück verwendet Büchler ein Zitat aus Franz Kafkas Das Schloß, einem kanonischen Text über die Labyrinthe der Bürokratie und ihrer Kontrollmechanismen. Der von Büchler ausgewählte kurze Ausschnitt gibt die Verärgerung wieder, mit der die Einwohner des Dorfes K.s Präsenz dulden. In den Worten der Wirtin aus dem Dorf: “Sie sind nicht aus dem Schloß, Sie sind nicht aus dem Dorfe, Sie sind nichts. Leider aber sind Sie doch etwas, ein Fremder, einer, der überzählig und überall im Weg ist…”
Das Schloß handelt von den Anstrengungen, sich anzupassen, und ihrem Misslingen. Als Buch bietet es selbstverständlich viele mögliche Lesarten, allerdings können wir uns hier auf eine beschränken. Aus den antiquierten Lautsprechern dröhnend, erinnert der Text an alte Fabrikhallen- oder Straßenpropaganda. Diese erklärt, dass Anpassung unmöglich ist und der Fremde immer außen vor bleiben wird. Büchler ist insbesondere an den unterschiedlichen Resonanzen interessiert, die der Text in den verschiedenen Städten haben kann, in denen die Arbeit ausgestellt wird: in einer Stadt von Migranten und byzantinischen Verhaltensregeln wie Istanbul, oder in einer ruhigeren alt-europäischen Hauptstadt wie Bern.
Diese Ausstellung wird auch im Van Abbe Museum in Eindhoven, in den Niederlanden, gezeigt.
Die Ausstellung wird eine Publikation auf Deutsch, Englisch und Niederländisch begleiten, die von der Kunsthalle Bern und dem Van Abbe Museum Eindhoven veröffentlicht wird.