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Danger Zone (Alpen)

4. September – 12. Oktober 2003

Leo Fabrizio, Ari Marcopoulos, Josef Felix Müller, Mariele Neudecker, George Steinmann, Jean Stern, Mike Tylor

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Die Übernahme des 54. Deutschen Geographentages 2003 (28. September bis 4. Oktober) zum Thema Alpenwelt – Gebirgswelten durch das Geographische Institut der Universität Bern gab vor zwei Jahren den Anstoss zum Ausstellungsprojekt Achtung Klimawandel! im Schweizerischen Alpinen Museum (SAM) und zur parallel dazu konzipierten Ausstellung Danger Zone in der Kunsthalle Bern. Das Gebirge ist ein uralter Topos in der Kunstgeschichte. Im 18. Jahrhundert war der Berg ein Hauptthema der „heroischen“ Landschaftsmalerei, im 19. Jahrhundert, im Zuge der Romantik, ein Sinnbild beinahe religiösen Naturgefühls. Die heutigen Künstler/innen wollen nicht mehr die Ehrfurcht vor der majestätischen Schönheit oder einschüchternden Autorität der Berge zur Darstellung bringen oder sich mystisch in die organisch-dynamische Welt der Gipfel, Grotten und des „ewigen“ Schnees einfühlen. Die Beziehungen zwischen Mensch und Berg haben sich grundlegend verändert. Die Gipfel, Pässe und Skigelände sind längst zu einem hochalpinen Vergnügungspark geworden. Alle Berge sind schon x-mal bestiegen worden: die Zeiten der Pioniere – der Whymper, Hillary, Messner usw. – sind vorbei. Das Eroberungspathos hat ausgedient. Das Hinaufklettern – und klimmen, das Emporschweben mit Seil- und Zahnradbahn, selbst bei sich drehender Gondel mit vollständig verglasten Wänden, ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Risikogesellschaft des 21. Jahrhunderts interessiert sich vor allem für die halsbrecherischen Arten des Herunterkommens wie Snowboarden, Paragliden, Downhill-Biken. Das Allmachtsgefühl der Alpenerschliessung hat eine neue Qualität erreicht: Wir schweben über alle Hindernisse hinweg und dulden nur noch unbehinderte panoramische Schönheit als Kulisse für den grossen Kick. Es kommt auf das Moment der Entwirklichung an, auf die Befreiung von allem Realen. Das Gebirge, einst massiv und furchterregend, entwickelt sich zum quasi-virtuellen Tummelfeld, bis seine Darstellung beinahe überflüssig wird.
Die Künstler gehen denn auch auf Distanz: Sie schauen sich die Berge von weit unten (Neudecker) oder von weit oben (Müller) an, zeigen bloss die alten (Fabrizio) und neuen (Marcopoulos) Kulissen der menschlichen Inbesitznahme der Natur, wenden (pseudo-)wis-senschaftliche Betrachtungsweisen an (Tyler) oder versuchen, Kräfte und Energien wie Wasser oder Elektrizität so immateriell wie möglich sichtbar zu machen (Steinmann, Stern).
Jean Stern präsentiert in der „gebirgigen“ Eingangshalle – es handelt sich um den einzigen Raum, dessen Boden aus Steinplatten besteht – einen grossen, von der Decke hängenden Ring aus Stahlblech: ein 360°-Panorama (der im Untertitel genannte Escher von der Linth gilt als der Erfinder des Gebirgspanoramas). Der Ring ist eine minimalistische Skulptur, aber auch ein sensibler Indikator verschiedenster Umwelteinflüsse: Er registriert die minimsten Lichtveränderungen, reagiert auf Vibrationen und scheint sich elektrisch aufzuladen. Ankündigung eines Gewitters? Danger Zone?
Josef Felix Müller zeigt in einer Serie von seit 2001 entstandenen grossformatigen Gemälden Gebirge aus der Vogelperspektive. „Luftaufnahmen faszinieren mich, weil sich mein Standort als Maler eigentlich in der Luft befindet. Es ist die Sicht von oben auf unseren Planeten, die uns auch beim Betrachten leicht abheben und schweben lässt“, sagt er im Interview. Die durch Einsatz eines fotografischen Vorbildes und kühle Farbigkeit hergestellte Distanz zum Dargestellten wird durch die im langwie-rigen Arbeitsprozess erreichte malerische Aneignung relativiert.
Die in England lebende deutsche Künstlerin Mariele Neudecker zeigt eine drei-dimensionale bewaldete Gebirgslandschaft (Far, Into the Day), die sich in unerreichbarer Höhe, auf hohem Sockel, unter einer Glashaube isoliert, jeglicher direkten Einflussnahme entzieht. Sie scheint sich vor unseren Augen aufzulösen, währenddem wir uns in der Position des ohnmächtigen Betrachters erfahren. Landschaft als Prozess oder als Konserve? Endangered Zone?
Leo Fabrizio verfolgt seit Jahren sein Projekt Bunker, von dem er eine Auswahl von 7 Fotos präsentiert. Er interessiert sich für militärische Verbauungen, die durch ihre Scheinarchitekturen und Tarnbemalungen eine eigenartige Verbindung zur alpinen Landschaft eingehen, Tribute der réduit national-Ideologie. Er zeigt, wie der Mensch auf manchmal absurde Weise versucht, jeden Quadratzentimeter Gebirge unter (militärische) Kontrolle zu bringen und gleichzeitig die Spuren seiner Präsenz so gut wie möglich zu verwischen.
George Steinmanns Installation Lofty Dryness ist das Resultat eines transdisziplinären Prozesses, der wissenschaftliche und die ästhetische Formen des Erkennens zu verbinden trachtet. Steinmann visualisiert auf mehrere Arten die Wasserkreisläufe, die in direktem Zusammenhang mit der Dynamik der Gebirge stehen: Verlegung des Regenabflusses durch die Innenräume der Kunsthalle entlang der Achse einer unterirdischen Wasserader, Klangcollage mit diversen Wasser-geräuschen (Tropfen in der Kunsthalle, Flüsse, Staudamm etc.), „Trockenwasser“ in der Form von Quellsubstanz, „metalogisches“ Infomaterial.
Mike Tylers Projekt heisst Another Tourist in Grindelwald. Der in Amsterdam lebende Künstler hat während dem ganzen Monat August am Fusse des Grindelwaldgletschers gelebt, den Rückzugs der Eismassen um Laufe der Jahrhunderte studiert und mittels Video und Fotografie seine persönliche, inti-mistische Vision dieser einzigartigen Landschaft festgehalten. Die Überlagerung von Bilden führt zu einer Verunklärung des Blicks und zu einer möglichen Hinterfragung von Geschichte, Realität und Zukunftsvision.
Ari Marcopoulos aus Sonoma, Kalifornien, stellt uns in einer Videoprojektion diese neue Generation von Gebirgsbezwingern vor: die Freeriders, die in halsbrecherischer Fahrt Steilhänge hinuntersurfen, auf der Suche nach Grenzerfahrungen in Extremsituationen. Der Künstler hat eine Gruppe dieser jungen Leute nach Alaska und Japan begleitet und ihre Exploits distanziert aufgezeichnet. In seinem Film zeigt er die Kulissen, die verunglückten Sprünge, schiebt ein low tech-Filter davor und untergräbt somit die Standardästhetik der Snowboard-Welt.