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Ibrahim Mahama

30. April – 1. Juni 2025

Eröffnung: 30. April, 18 Uhr

Zum Ausstellungstext

Kurz bevor wir die Türen der Kunsthalle Bern nach einem Jahr des Experimentierens mit den operativen Aspekten des Institutionellen wiedereröffnen, werden wir uns in eine literarische und theoretische Chrysalis einhüllen. „Chrysalis“ wegen seiner transformativen Konnotation: der finale Moment, bevor sich ein Insekt verwandelt. Hier spiegelt der Begriff den Weg einer Institution wider, die sich in eine neue Richtung begibt, die sich seit zehn Monaten in einem Fermentierungsprozess befindet, in dem wir alle unsere Aktivitäten neu konfigurieren – von Ausstellungen und öffentlichen Programmen bis hin zu allen administrativen Aspekten der Einrichtung zeitgenössischer Kunst. Dies ist auch ein entscheidender Moment des physischen Wandels, da das Gebäude zum ersten Mal seit 1918 renoviert und mit einem neuen Ein- und Ausgang an der Rückseite der Institution versehen wird; genau das Ereignis, welches uns zu dieser „Fermentierungsphase“ veranlasste und uns Raum gab, über das Erbe der Kunsthalle selbst nachzudenken.

Die Kunsthalle Bern freut sich sehr, die erste Schweizer Einzelausstellung des 1987 in Ghana geborenen Künstlers Ibrahim Mahama zu präsentieren. Das öffentliche Projekt ist eine Antwort auf die Verhüllung der Kunsthalle durch Christo & Jeanne-Claude – das erste Gebäude, das sie je verhüllten – anlässlich ihres 50-jährigen Jubiläums im Jahr 1968. Der Entwurf untersucht die Spuren, die die Kunsthalle Bern im nationalen Gedächtnis hinterlässt, und die Auswirkungen, die sie auf die architektonische und künstlerische Landschaft der Stadt Bern hat. Er ist auch ein kritischer Kommentar zum eurozentrischen Fokus der Kunsthalle und unterstreicht die Rolle der Kunsthalle Bern bei der Gestaltung des westlichen Kanons zeitgenössischer Kunst.

Mahama ist bekannt für seine groß angelegten Installationen und Interventionen sowie für die Verwendung von gefundenen Objekten und wiederverwendeten Materialien. Ein immer wiederkehrendes Material in seinem Werk ist der Jutesack, den er sammelt und in kollaborativer Arbeit zusammensetzt. Das erste Mal dachte Mahama 2011 über Jutesäcke nach, während er an der ghanaischen Grenze wartete und beobachtete, wie Lastwagen vorbeifuhren, die Lebensmittel und andere Produkte in diesen Jutesäcken transportierten. Und er dachte: Warum ist es für Waren einfacher, Grenzen zu überqueren als für Menschen?

Mit dieser öffentlichen Skulptur für die Kunsthalle Bern wirft Mahama Fragen auf, die einerseits die aktuellen Arbeitsbedingungen und ihre ökologischen Auswirkungen im globalen Kakaohandel erörtern, und andererseits den kolonialen Fussabdruck der Schweizer Handelsbeziehungen zu Ghana durch den Export von Kakaobohnen ansprechen, die seit Hunderten von Jahren das wichtigste Material für Schweizer Chocolatiers sind. Die Pflanze selbst wurde 1857 von der Basler Mission in Ghana eingeführt.

Die in Südostasien hergestellten Jutesäcke, in denen der Kakao transportiert wird, werden von der ghanaischen Kakaobehörde (Cocobod), die für den Transport der Kakaobohnen zuständig ist, nach Ghana eingeführt. Die Kakaohändler schneiden die Säcke auf und leeren den Inhalt in Container, die dann nach Europa transportiert werden. Die Jutesäcke werden dann an lokale Reis- und Maishändler weiterverkauft, die ihre Namen auf die Säcke schreiben. In diesem Moment beginnt das Material für Mahama zu leben und wird zu einer Erweiterung der Körper von Arbeitern und Händlern. Schließlich werden die Säcke für den Transport von Holzkohle verwendet: ihr letztes Leben, da sie dann für nichts anderes mehr verwendet werden können. Doch auch Jutesäcke haben mit Problemen zu kämpfen. Insektenbefall kann dazu führen, dass sie manchmal nur einmal verwendet werden können. Gerade bei Kakao kann starker Schädlingsbefall die Qualität und den Marktwert stark beeinträchtigen. Nach der Ernte kann der finanzielle Verlust durch Schädlinge wie die Mandelmotte (Cadra cautella), den Kakaorüsselkäfer (Araecerus fasciculatus) und den Lagerkäfer (Trogoderma variabile) bis zu 30-40 % betragen. Dieser Befall kann sowohl im Erzeugerland als auch beim Transport oder der Lagerung im Ausland auftreten. Dieser Aspekt der Geschichte der Jutesäcke gestattet es uns, Insekten als Akteure zur Verlangsamung der Überproduktion, des Konsumverhaltens und des CO2-Fußabdrucks zu sehen und über den extensiven Einsatz von Pestiziden seit Beginn der Globalisierung in den späten siebziger Jahren nachzudenken. Pestizide haben eine ökologische Katastrophe verursacht. Sie haben Böden, Gewässer, Rasen und andere Vegetation, tatsächlich also die Lebensräume von Menschen und anderen Säugetieren sowie von Vögeln, Fischen, Nützlingen und Nichtzielpflanzen unwiederbringlich verseucht.

Optisch und materiell repräsentiert der Jutesack für Mahama die Geschichte Ghanas seit dessen Unabhängigkeit. Er stellt ein Material zur Schau, das verschiedene Aspekte des globalen Kapitalismus zum Ausdruck bringt. In erster Linie ist der Jutesack Zeuge des rasanten Tempos dessen, was viele als Katastrophenkapitalismus bezeichnen: der Handel mit Waren, die Bewegung von Materialien und deren zerstörerischer CO2-Fußabdruck, aber auch das Gesamtprofil der Förderung und Ausbeutung von Ressourcen auf dem afrikanischen Kontinent. Zweitens ist er ein Schauplatz menschlicher Arbeit, denn der Stoff ist für die internationale Arbeiterklasse ein wiedererkennbarer Grundstoff und eine Referenz. Als Sammler des menschlichen Schweißes, teilweise zerrissen und gezeichnet von ihren verschiedenen Stationen, erzählen diese Stoffstücke die Geschichte des Welthandels durch Kolonialismus und kapitalistische Wirtschaft. Mahama beschreibt sie als ein durch Zeit, Form und Ort geprägtes Archivdokument. Entscheidend für die Praxis des Künstlers ist der gemeinschaftliche Prozess, in dem die Jutesäcke gesammelt und sortiert, zusammengenäht, neu geformt und schließlich installiert werden. Indem er die Kunsthalle ein weiteres Mal umhüllt, thematisiert Mahama nicht nur eine Geste, die in der Kunstgeschichte verankert ist, sondern fordert sie auch zurück – indem er vergangene und gegenwärtige Narrativen auf unsere Wände schichtet und uns einlädt, uns mit den verwobenen Hinterlassenschaften von Kunst, Architektur und globalem Handel auseinanderzusetzen.

Biografie

Ibrahim Mahama wurde 1987 in Tamale, Ghana geboren, er lebt und arbeitet in Accra, Kumasi und Tamale. Zu seinen Einzelausstellungen zählen das Barbican Centre, London (2024); Kunsthalle Osnabrück (2023); Oude Kerk, Amsterdam (2022); Frac Pays de la Loire (2022); The High Line, New York (2021); University of Michigan Museum of Art (2020); The Whitworth, University of Manchester (2019); Norval Foundation, Kapstadt (2019); Tel Aviv Art Museum, Israel (2016); and K.N.U.S.T Museum, Kumasi, Ghana (2013). Er hat u.a. an Gruppenausstellungen teilgenommen wie Lagos Biennale 4th edition, Lagos (2024); Malta Biennale, Malta und Gozo (2024), Sharjah Biennale 15 (2023); 18th Internationale Architekturbiennale von Venedig (2023); der 35. São Paulo Biennale (2023); Museum of Fine Arts, Houston (2021); Centre Pompidou, Paris (2020); 22. Sydney Biennale (2020); Stellenbosch Triennale (2020); 6. Lubumbashi Biennale, Demokratische Republik Kongo (2019); Ghanaischer Pavillon, 58. Venedig Biennale (2019); Documenta 14, Athen und Kassel (2017); Broad Art Museum, Michigan State University (2016); Kunsthal Charlottenborg, Kopenhagen und Holbæk (2016); 56. Venedig Biennale (2015); und Artist’s Rooms, K21, Düsseldorf (2015). Mahama wurde ausserdem zum künstlerischen Direktor der 35. Ljubljana Biennale of Graphic Arts, Ljubljana (2023) ernannt.