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Ivana Franke
Twilight. Neither perception nor non-perception

11. Juni – 7. August 2022

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Ivana Franke
Lovers Seeing Darkness, 2018
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Lovers Seeing Darkness, 2018
Foto: Foto Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Lovers Seeing Darkness, 2018
Foto: Foto Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
(Retreat into Darkness.) Towards a Phenomenology of the Unknown, 2017
Foto: Gunnar Meier

Ivana Franke
(Retreat into Darkness.) Towards a Phenomenology of the Unknown, 2017
Foto: Gunnar Meier

Ivana Franke
Center(ed), 2008–2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Animated Sphere (of boundless space), 2008
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
From the Faraway Past and From the Future, 2014
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
From the Faraway Past and From the Future, 2014
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
From the Faraway Past and From the Future, 2014
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Apparent Formations, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Apparent Formations, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Apparent Formations, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Ausstellungsansicht, Twilight. Neither perception, nor non-perception, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Ausstellungsansicht, Twilight. Neither perception, nor non-perception, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Ausstellungsansicht, _Twilight. Neither perception, nor non-perception_, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022


Ivana Franke
Ausstellungsansicht, Twilight. Neither perception, nor non-perception, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Ausstellungsansicht, Twilight. Neither perception, nor non-perception, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Chairs Outside of Human Consciousness, 2020–2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Ausstellungsansicht, Twilight. Neither perception, nor non-perception, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Gossamer, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Gossamer, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Gossamer, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Ausstellungsansicht, Twilight. Neither perception, nor non-perception, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Ivana Franke
Ausstellungsansicht, Twilight. Neither perception, nor non-perception, 2022
Foto: Gunnar Meier, 2022

Die Ausstellung von Ivana Franke rückt die Frage nach Sehen und Wahrnehmung in den Mittelpunkt. Wir leben in einer Welt, die auf das Auge ausgerichtet ist. Das Sehen beherrscht jeden Aspekt unseres Lebens. In der Rechtswissenschaft konzentriert sich die Beweisführung häufig auf das Visuelle: Zeugenschaft bedeutet, eine Straftat oder den Täter gesehen zu haben, was deutlich mehr Gewicht hat als der Nachweis dessen, was gehört wurde. Der Geruch hingegen wird nicht einmal berücksichtigt, obwohl sich die Opfer von Sexualstraftaten an ihn lebhafter erinnern als an das Gesehene. Diese Beweislehre regelt und beherrscht unsere Welt. Jede Handlung muss durch ein lesbares Dokument bestätigt werden.

Diejenigen von uns, die sehen können, sind auf die Sehkraft angewiesen, um sich in der Welt zu orientieren und ihr einen Sinn zu geben. Sehen ist Wahrheit. Die Wahrheit wird oft kontrolliert durch das, was man gesehen hat, und dadurch, ob eine andere Person es bestätigen kann. Erst dies macht es zu einer Tatsache. Der Zentrismus des Auges ist nicht nur eine Domäne der visuellen/zeitgenössischen Kunst, wo Bilder 1 geschaffen werden, um im Raum betrachtet zu werden. Auch die Literatur in ihrer erweiterten Form basiert auf dem Sichtbaren: Eine erzählte Geschichte hängt von der Fähigkeit ab, die Narration des Erzählers zu visualisieren. Die Wissenschaften benutzen wiederum Objektiv-Technologien, um ihre Behauptungen zu belegen. So sammeln Astrophysiker beispielsweise mit Hilfe von Teleskopen Daten und werten diese aus, um über Welten zu spekulieren, von denen wir nur wenig wissen. Die westliche Medizin ist keine Ausnahme. Als Patient:in wird man oft aufgefordert, ein Bild von seinen Gefühlen zu zeichnen, an welchem die Ärztin oder der Arzt sich im weiteren Verlauf der Untersuchung orientiert. Alles, was außerhalb der Matrix dieser Validierung liegt, fällt plakativ gesagt in den Bereich des Esoterischen, Unwissenschaftlichen und Primitiven.

Es ist kein Wunder, dass die sozialen Medien und das Internet das Visuelle und das menschliche Bedürfnis nach Bestätigung nutzen. Der Like-Button beantwortet die Frage: Hast du gesehen, was ich gesehen habe? Als die Geschichte von Cambridge Analytica und Facebook 2018 ans Licht kam 2, brachte sie die Unerschütterlichkeit der Wahrheit ins Wanken. Sie enthüllte unsere Vorurteile und den konstruierten Anteil unserer Wahrheiten. Die Geschichte bewies: was online zu sehen ist, ist eine Verzerrung der Tatsachen. Dies schuf Misstrauen gegenüber Social-Media-Plattformen und Algorithmen. Unsere Vorteile selbst hat der Vorfall jedoch nicht hinterfragt – weder die Stärke deren Ausprägung noch wie gefügig sie uns machen. Die Covid-19-Pandemie hat die Welt in Schockstarre versetzt und das absolute Vertrauen, das wir in die Wissenschaft und einige Regierungen hatten, erschüttert. Gut zwei Jahre lang haben wir in einer völlig destabilisierten Welt gelebt. Immer noch sind wir davon gezeichnet. Die Pandemie wurde zu einem Paradies für Verschwörungstheoretiker:innen und WhatsApp zu einer Autobahn für einen Verkehr von Halbwahrheiten, die als geheime Informationen ausgegeben wurden.

Die erste Einzelausstellung von Ivana Franke in der Schweiz bietet einen Raum, in dem wir unsere Sehgewohnheiten und unser Dasein in der Welt neu kalibrieren können, welche oft andere Sichtweisen ausschließen. Mit ihren ortspezifischen Werken hinterfragt Ivana Franke die Schwellen unserer Wahrnehmung, indem sie eine Verbindung zwischen unserem Bewusstsein und der Umgebung schafft. Ihr multi-disziplinäres Werk stützt sich auf Neurowissenschaft, Mathematik, Optik und Architektur und verweist auf ein umfassendes Verständnis künstlerischer Praktiken und deren Relevanz für andere Disziplinen, sowie auf die daraus resultierende Verschränkung. In der Ausstellung Twilight. Neither perception nor non-perception stellt zeigt sie immersive Installationen aus ihrer Darkness-Serie.

Du betrittst einen dunklen Raum. Du tauchst vollkommen in diesen Raum ein. Deine Augen müssen sich erstmal an die neue Umgebung gewöhnen. Du bist unsicher, was du tun sollst. Du bleibst wahrscheinlich stehen und bewegst dich langsam. Es gibt eine Zeit der Ungewissheit, bevor du dein Augenlicht wiedererlangst. Bevor du anfängst, aus dem, was du siehst, und dem, was du bereits weisst, einen Sinn zu ziehen. Bevor du hastige Assoziationen und Urteile fällen kannst. Es sind diese wenigen, scheinbar unbedeutenden Sekunden, die am freiesten von Assoziationen sind. In diesen Sekunden der Anpassung bist du aufmerksamer und der Rest deines Körpers wird dir in Bezug auf den Raum und deinen Platz darin stärker bewusst. Ich finde diesen Moment äußerst produktiv – wenn wir unsicher gleichzeitig und höchst offen sind. Es ist ein Moment der Aufmerksamkeit. Ich möchte uns bitten, in diesem Moment der Offenheit zu verharren, frei von dem, was wir bereits wissen, und offen für neue Möglichkeiten, sich in der Welt zu bewegen und zu sein.

Was ein innerer Prozess ist, das Sehen und Fühlen, wird oft durch Äußerlichkeiten beeinflusst. Die Art unserer Sozialisierung hat beispielsweise einen Einfluss darauf, welchen Dinge wir welche Bedeutung geben. Was ich sehe, ist durch meine Erfahrung, meinen Hintergrund und meine Sozialisation gefärbt, wodurch eine scheinbar objektive Handlung unausweichlich verzerrt wird. Hinzu kommt, dass das Gedächtnis instabil ist: Die jeweilige Sicht der Welt färbt die Bedeutung von Erinnerungen – die Perspektive verändert sich zusammen mit den Wahrnehmungen.
Twilight. Neither perception nor non-perception wirft drängende Fragen auf: Können wir nur das sehen, was wir kennen? Was könnte uns von unserem bequemen, vordefinierten Blickwinkel abbringen und unseren Blick auf die Welt erweitern?3 Und: Können wir die Welt möglicherweise neu lesen, wenn wir unsere Gewohnheiten und Vorurteile für einen Moment ausser Kraft setzen?

Die Ausstellung von Ivana Franke bildet den Auftakt zu Kabelo Malatsies Leitung der Kunsthalle Bern.

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1 Der Begriff “Bild” umfasst hier auch Performance und sämtliche Medien, die ein Bild erzeugen, auch wenn dieses Bild durch die Vorstellungskraft der Betrachter:innen vollendet werden sollte.

2 Nachzulesen hier – https://www.theguardian.com/news/series/cambridge-analytica-files

3 Aus Elena Agudios Text Retreat into Darkness. Towards a Phenomenology of the Unknown. On Disorientation, Epistemological Rupture, and Non-Knowledgein Ivana Frankes Publikation Retreat into Darkness. Towards a Phenomenology of the Unknown

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